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Mit fast 60 – was ich heute über das Leben verstehe (und früher nicht konnte)

Ein paar Worte vorab

Irgendwann merkt man, dass man nicht mehr das Leben „erreichen“ muss, man ist mittendrin angekommen. Früher war ich oft damit beschäftigt, etwas aus mir zu machen. Heute geht es mir mehr darum, bei mir zu sein.

Mit fast 60 schaue ich nicht mehr zurück, um zu bewerten, was gelungen oder misslungen ist. Ich schaue zurück, um zu verstehen. Vieles, was ich früher für Probleme hielt oder als Fehler gesehen habe, waren einfach Schritte auf dem Weg, Lebensübungen. Nicht schön manchmal, aber notwendig. Manche bin ich damals holprig gegangen, rückblickend erkenne ich, dass genau sie mich getragen haben.

Ich muss mich nicht mehr dauernd beeilen. Nicht mehr beweisen, dass ich „mithalte“. Ich darf langsamer sein, dabei aber gleichzeitig wacher. Es ist erstaunlich, wie viel Frieden entsteht, wenn man nichts mehr darstellen muss.

Was ich heute über das Leben verstehe, hätte ich früher nicht greifen können. Dafür brauchte es Zeit, Erfahrungen, Irrwege, Menschen, Abschiede – und dieses stille Reifen, das nur das Älterwerden schenkt.
Oder anders ausgedrückt:

Ich habs ausprobiert, jetzt weiß ich’s besser… und kann drüber schmunzeln.

Wenn ich all diese Erfahrungen zusammenfasse, bleibt am Ende nicht eine große Theorie übrig, sondern viele kleine Aha-Momente, die sich erst mit der Zeit sortieren. Früher hätte ich versucht, das alles in ein Konzept zu packen. Heute reicht mir eine lockere Sammlung von Beobachtungen, die mir das Leben selbst beigebracht hat.

Nichts Tiefenpsychologisches, nichts Systematisches. Einfach das, was übrig bleibt, wenn man lange genug auf dem Spielfeld stand.
Oder einfacher gesagt:

Das ist die Kurzfassung davon, was man erst versteht, wenn man alt genug ist, um drüber zu lachen.


1. Vieles erledigt sich, wenn man aufhört, es zu jagen.

Früher nannte ich das Ziele. Heute nenne ich es Zeitverschwendung und weiß: Es waren oft nur Beschäftigungstherapien.

2. Der Körper vergisst nichts… er verschickt nur verzögert die Rechnung.

Ich dachte mal, Rückenschmerzen seien Pech. Heute weiß ich: Das ist Buchhaltung.

3. Man muss nicht zu allem eine Meinung haben… Schweigen ist auch eine Kompetenz.

Gerade dann, wenn andere glauben, sie hätten sie verloren. In solchen Momenten wird Schweigen zur überlegenen Haltung.

4. Freundschaft ist nicht „wir kennen uns lange“, sondern „wir halten uns noch aus“.

Eine viel zuverlässigere Definition.

5. Schlaf ist keine Pause, sondern Reparaturbetrieb.

Und mal ehrlich: Es ist die angenehmste Form von Wartung.

6. Wer immer noch „später“ sagt, hat die heimliche Hoffnung, unsterblich zu sein.

Irgendwann merkt man: Später ist jetzt… oder gar nicht.

7. Es ist erstaunlich, wie friedlich das Leben wird, wenn man nicht mehr jeden Gedanken kommentiert.

Innen wie außen.

8. Ein Nein ist oft die ehrlichste Form der Selbstfürsorge.

Die schönste neue Freiheit ist das unauffällige „Nein“.

9. Ich habe aufgehört, mich zu erklären. Wer mich nicht versteht, will mich meist auch nicht verstehen.

Das spart Zeit und Nerven, denn die meisten wollten nie wirklich verstehen, sondern nur diskutieren.

10. Gut gemeint war oft mein Deckmantel für „eigentlich will ich das gar nicht“.

Heute bin ich ehrlicher – auch mit mir.

11. Loslassen ist nicht verlieren, sondern heimkommen.

Erst wenn Hände frei sind, kann Neues hineinfallen. Ich höre auf, im Außen etwas festhalten zu wollen, das mich im Innen belastet.

12. Nicht jedes Gespräch braucht ein Ergebnis.

Manchmal reicht es völlig, es nicht geführt zu haben.

13. „Selbstfürsorge“ ist nur ein modernes Wort für: rechtzeitig die Notbremse ziehen.

Auch bei sich selbst, besonders bei „alten Versionen von mir“, die immer noch mitreden wollen. Mein jüngeres Ich hätte das nie freiwillig unterschrieben.

14. Würde beginnt dort, wo man nicht mehr versucht, jünger zu wirken, als man ist. Wo man aufhört, mitzuspielen.

Vor allem in Spielen, die man nie selbst gewählt hat. Das ist kein Rückzug, sondern Reife und macht übrigens viel weniger Arbeit.

15. Das Leben ist kein Wettlauf, sondern ein Werden.

Und früher oder später versteht man: Der wichtigste Weg führt nach innen.

16. Ich könnte jetzt noch weiterschreiben … aber ich hab keine Lust.

Und genau da liegt die ganze Weisheit drin:
nicht mehr alles bis zum letzten Komma ausreizen, nicht jedes Kapitel zu Ende erklären, nicht jede Erfahrung in Lebensweisheit verwandeln.

Man darf auch einfach sagen: „Reicht.“
Und das ist kein Rückzug, das ist Reife mit Kaffeetasse.

Vielleicht ist das das eigentliche Geheimnis des Älterwerdens:

zu wissen, wann man aufhören kann… und es dann auch zu tun.

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